Diskurs

Von gelebter Differenz. Verantwortung, Konsequenz und Kontroverse.

Anmerkungen zu einer überfälligen Debatte um Kritik und der Anerkennung von Fremde

In diesem Artikel geht es um zwei Phänomene: Wie kann ein dialogischer Diskurs in Fragen der Eurythmie, die Kunst ist entstehen und wie ist der Umgang mit möglicher Weise Verstörenden und Fremdem, der sich in solcher Kunst für Einzelne zeigt. Diese Fragen werden zum wiederholten Mal deutlich in dem Artikel von Ursula Steinke zum Patchworkfestival, der in der letzten Ausgabe des „Auftakts“ (2/2018, Seite 11) erschienen ist.

 

Patchwork Festival im Forum Kreuzberg / Berlin
Text von Ursula Steinke – Auftakt (2/2018, Seite 11)

Seit zwei Jahren hat eine Kollegin von uns eine interessante Initiative ergriffen:  ”Patchwork Festival –Eurythmie Miniatur Serie, für eine abwechslungsreiche eurythmische Landschaft“

Sie stellt im Forum Kreuzberg / Berlin, die Bühne zur Verfügung, damit KollegInnen in zeitlich = 10 Minuten, kleine Stücke zeigen können. Dieses sind Studien von Beschäftigungen mit Themen, wozu man im täglichen Berufsleben nicht kommt, die man aber für wertvoll hält, sie einmal auszuarbeiten. Es sind natürlich sehr unterschiedliche Fragen an die Eurythmie, die da aufgegriffen werden. z.B. aus dem diesjährigen Programmheft: – nach Hindemith, Solosonate Op.25,1: Begegnung / Naturgewalten / Lied des Troubadour etc… oder – Schweizer Gedichte in unterschiedlichen Lokalsprachen… oder – Bewegung mit Berührung kommunizieren… – oder ein eurythmischer Tanz, der zu Atem und zur Möglichkeit von sichtbarer Sprachlichkeit wird…. oder – Beschäftigung von Unvorhersehbarem… nach einer neuen Komposition von Michaela Catranis…. oder – Träume ziehen vorüber…. – oder… und… und… und.

Alle Studien versuchen den Inhalt ihres Anliegens, mit den Mitteln unserer Disziplin „Eurythmie“ durch Bewegungsmöglichkeiten, Kostümgestaltung, Beleuchtungssituation in die Sichtbarkeit des Raumes zu bringen, in den Dialog einzutreten zwischen: Raum, Zuschauer, Gestalter. Fast allen Beiträgen war Liebe und Ernst zu unserem beruflichen Tun anzusehen. Es stand auch stets die Verantwortung dahinter, mit der Ausführung seines Beitrages: Ästhetik und den gesunden Menschenverstand nicht zu verletzen, sondern mit einzubeziehen. Wie es die Grundregel eines jeden Kunstwerkes eigentlich ist.  Einer der Beiträge, ”Heimaten”, ließ dies vermissen. Da die Veranstaltung eine öffentliche war, empfand ich diesen Beitrag deplatziert. An 13 Waldorfschulen in Berlin machen die meisten Schüler, besonders die Oberstufenschüler, sehr gerne Eurythmie, dank des großen, phantasievollen Einsatzes der KollegInnen. Außerdem waren Studenten der hiesigen Eurythmieschule zugegen, denen man, auch wenn es sich um individuelle Studien handelte, Geschmacklosigkeit nicht so unbedingt in den Weg ihres Enthusiasmus zur Eurythmie legen möchte. Oder?

Allerdings muss man zugeben: der Dialog, die Diskussion, die Neubestimmung, die Verantwortung zum Tun – alles wurde an diesem Abend gut in Bewegung gebracht, durch alle erarbeiteten Beiträge.

 

Bezüglich HEIMATEN
Text von Hans Wagenmann, 19.07.18

Für mich ist ersichtlich, dass an diesen Fragen Formate sich entwickeln sollten, die gespeist werden könnten von dem, was man als Performer lebt, dem, was das jeweilige Stück ausspricht, und dem, wie der Zuschauer sieht, wie er über dieses Sehen berichtet. Es ist, würde diese real werden, sich wohl Diskussionsforen gelebter Differenz bilden, die die Kontexte seiner Beteiligten in ihre jeweilige Gestaltung miteinbeziehen. Diese Orte ließe sich, so mein Vermuten, nicht ohne Verantwortung, Konsequenz und Kontroverse tätigen. Sie werden dabei wohl selbst Teil eines künstlerischen Handelns. Sichtbar ist, dass an dieser Stelle Erwartungen, unsere eigenen Ausgangslagen eine große Gewichtung haben, dem was wir durch unsere Sprache, sei sie sichtbar, hörbar, schriftlich, zu lesen, an Bild, an Angesicht eines Moments weitergeben. Wir stehen damit, so mein Anblick – der Umgang mit der sog. „Flüchtlingskrise“ ist dafür prägendes Beispiel –, an einem Ort, der nicht allein abbildet, sondern Wirklichkeit ist, indem wie man diese auffasst, mitkonstituiert und die Frage nach dem Angesicht des anderen stellt, sich diesem in aller Konsequenz auszusetzen versucht. Für mich ist dies der Augenblick, den ich mit der Eurythmie zu leben suche, dem meine Liebe gilt. Diesen Moment möchte ich nun an meinem Umgang mit „Heimaten“, einem Stück, das Ursula Steinke in ihrem Artikel bespricht anfänglich erläutern, um damit exemplarisch einen Diskussionsraum zu öffnen, der über dieses Stück und die Auseinandersetzung um es hinausreicht.

Heimat als Übergang, davon erzählt „Heimaten“ in seinen verschiedenen Momenten und diese verantworte ich, wenn ich „Heimaten“ vor Einzelnen oder wie an beiden Abenden des Patchworkfestivals 2018 in Berlin vor Publikum lebe. Es ist in seiner Konsequenz ein Lebensmoment, keine alleinige Form einer Darstellung, sondern ein Moment des Handelns, der Kontroverse. Ich als eurythmischer Performer bin dabei keineswegs der alles Sehende, sondern vielmehr der, der mit seinen Bewegungen, mit dem, was sie für den Zuschauer, für das Stück, für mich selbst als Performer auslösen, zu leben, diese in ihrer Konsequenz zu verantworten hat. Mir ist solches schon am Probenbeginn meiner Arbeiten, die ich seit achtzehn Jahren öffentlich zeige, deutlich und ich weiche diesem nicht aus, sondern ich verantworte diese Momente, was nicht heißt, dass ich nicht auch scheitere, wie diese Stücke gestaltet sind. Gestalte es bis in das hinein, wie ich dort mit meinem eigenen Körper, im übrigen auch eine Form des Heimatlichen umgehe, diesen verletzlich und in „Heimaten“ gar als Verletzten zeige. So ist zumindest ein Teil meines dortigen Kostüms, die hellen Mullverbände um meinen Bauch, der sonst unbedeckte Oberkörper in eine ihre Deutungen zu lesen.

Deutlich ist mir, dass ich an diesen und anderen Stellen den Erwartungen, die wohl viele Zuschauer an das haben, wenn sie Eurythmie sehen wollen, nicht gerecht werde. Ist es die Aufgabe von Kunst, Erwartungen zu erfüllen? Ich respektiere und weiß um diese Erwartungen. Mir geht es nicht um Provokation. Ich gehe bewusst an Grenzen, überschreite sie an manchen Stellen. Es geht mir in meinen Arbeiten nicht darum Eurythmie zu zeigen, sondern Kunst zu leben und zu verantworten. Eurythmie ist mir dafür Mittel, Methode und Praxis, aber nicht das Ziel. Eurythmie ist mein Beruf. Sie ist das erste Mittel, mit dem ich arbeite. Ich bin auch von anderen Methoden und Künsten beeinflusst und sehe mich dabei doch primär als Eurythmisten, als einen Eurythmisten, der Kunst lebt,- nicht mehr und nicht weniger. Ich will mit meiner Kunst nicht etwas offenbaren, sondern mir geht es gerade darum, mit Fragmenten umzugehen, die sich in ihren Bezügen zu einer offenen Erzählung fügen und Leerstellen lassen, an denen sich Begrifflichkeiten erst bilden können, dem Zuschauer Möglichkeit geben, Unverhofftes zu sehen. Ich gehe, um ein weiteres Beispiel zu geben, bewusst in „Heimaten“ damit um, ein Stück aus einer Thematik heraus zu entwickeln, aus dem, was mir die dort sichtbaren werdenden Bewegungen erzählen. So geschieht am Anfang von „Heimaten“ im Moment, da der rechte Arm, er hängt zuvor herab beinahe unmerklich beginnt, ein Runden anzunehmen, die reale Imagination, als blicke ich mit meinen, in diesem Moment geschlossenen Augen in das Vorbeiziehen von Soldaten, die wie gleichzeitig auf der Flucht, wie auf dem Weg in den Kampf sind, über ein kahle Hochebene ziehen und dabei dann auch durch den offenen Raum sich bewegen, von vorne nach hinten, der sich zwischen meinem Rumpf und meinem Arm mit dieser Bewegung als eine Anmutung des eurythmischen „B“ bildet.

Ob ein solcher Moment für den Zuschauer real wird, – ich kann es nicht wissen. Es ist ein Augenblick, es gibt beinah für jede Bewegung dieses Stückes weitere Imaginationen, die den sichtbaren, den ätherischen Raum, seine Zeitlichkeit dieses Stückes mitbestimmen, seine eurythmisch-ätherische Realität. Dazu zählt auch ein Strick, mit dem im Verlauf des Stückes auf verschiedene Arten umgegangen wird, auch in einer Weise, die an Gewalt erinnern mag, an vergebliche und doch auch gelingende Suche nach einer Lebensspur. An diesen Schilderungen kann, auch in einer Nachschilderung wie dieser deutlich werden, dass „Heimaten“ einzelne Zuschauer in seiner Konsequenz irritiert, Kontroversen auslöst. Es geht an Grenzen, zeigt und lebt Schwellen, verantwortet es in einer von mir bewusst gewählten Ästhetik und zielt nicht auf Verstand, sondern zeigt ein mögliches Beispiel, wie heute mit einem ausdrücklich künstlerischen Anspruch mit Eurythmie umgegangen werden kann. Dieser Umgang ist durchaus in einem erweitert politischen Sinne relevant, in dem Moment, wie Begrifflichkeiten zu der gewählten Thematik erst in der künstlerischen Auseinandersetzung entstehen, auch im Umgang mit den Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Dass ein solcher Umgang irritieren kann, ist deutlich. Ich will und kann dieser Konsequenz nicht ausweichen, will das gelebt werden, das „Heimaten“ zeigt und äußert, von dem ich selbst nicht das Gesamte weiß, denn es kann sich erst im realen Bezug zu den Zuschauern, wenn er gelingt, leben.

In einem solchen Augenblick ist exemplarisch der Moment gelebter und offen dargelegter, begründeter Kontroverse erreicht. Es ist an der Zeit, einen solchen Ort zu gestalten, sei es als Teil einer Tagung, als ein zu begründendes Diskussionsforum, als Blog oder in weiteren Möglichkeiten eines diskursiven Dialogs. Ich bin bereit, diese Formate mitzubilden – von einem Einzelnen können sie nicht ausgehen – mich an ihrer Konzeption zu beteiligen. „Heimaten“ stelle ich dafür als ein mögliches Beispiel der Auseinandersetzung zur Verfügung. Aus meiner Sicht, und das scheint mir für die Diversität der Eurythmieszene wichtig sollten solche Foren nicht an einer Institution beheimatet sein, um die Offenheit und Gewagtheit ihrer Diskussion jenseits von Repräsentanz wahren zu können, sondern vielleicht könnte ihnen vom Berufsverband oder vom Quo Vadis Eurythmie Impresariat ein Gastrecht gewährt werden, ohne diese Initiativen dabei direkt zu vertreten. Werden solche Foren in Zukunft nicht entstehen, so die Konsequenz, die ich sehe, wie seit Jahrzehnten im Umgang mit Eurythmie mehrfach zu erfahren war, wird einem Populismus weiter Tor und Tür geöffnet, der der Wirklichkeit, die in der Eurythmie jetzt lebt, ihren Künstlerpersönlichkeiten, den von ihr gewählten Themen nicht gerecht werden wird. Dies schließt Kontroversen keineswegs aus, sondern fragt vielmehr nach ihnen in ihrer Konsequenz, angebunden an die Realität, von dem, was besprochen wird, angebunden an das, was ein jeder Berichtender an eigene Ausgangslagen in die Diskussion einbringt und diese damit mitverantwortet. Den in diesem Artikel gestellten Fragen auch künstlerisch nachzugehen, diese in eigene Arbeiten einzubeziehen, dafür ist das von Birgit Hering veranstaltete und gegründete Patchworkfestival ein hoffnungsvolle Initiative. Ich werde meine Kunst weiterleben. Sie weiter verantworten und mich den eventuell auftretenden Kontroversen, die kein Ziel meiner Arbeiten stellen.